Eine Karriereberatung in Hamburg- mit überraschenden Wendungen

Prozess einer triadischen Karriereberatung in Hamburg nach einem Konzept von Professorin K. Rappe-Giesecke – Teil 1. Von Torsten Wulff.

„Leben ist das, was dir passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“ Dieser Satz von John Lennon fiel mir nach dem Telefonat mit Herrn J. ein, in dem dieser mich gefragt hatte, ob ich ihn in seiner weiteren Karriereplanung unterstützen könne. Er sei es gewohnt, als Unternehmer in der Software-Branche Erfolg zu haben, hatte weitere ehrgeizige Pläne. Aber nun habe ihn eine ausgewachsene Krise ereilt. Eine gerichtliche Auseinandersetzung mit seinen beiden ehemaligen Partnern stünde ihm bevor. Nach allem habe er Anlass, sich mit seiner weiteren beruflichen Perspektive im Raum Hamburg und Pinneberg zu beschäftigen.

Auf Anfragen wie die von Herrn J. treffe ich als Business Coach immer öfter. Karrieren gestalten sich heute, in unserer globalisierten Welt und unter den Bedingungen zunehmender Individualisierung anders als die unserer Eltern und Großeltern: brüchiger, aber auch bunter und vielfältiger. Für viele Menschen gerät dies erst einmal in Widerspruch zu den Erwartungen an ein erfolgreiches Berufsleben – und weckt Bedarf nach professionell begleiteter Reflexion und Beratung.

Am Beispiel des Herrn J. möchte ich in diesem Blog skizzieren, wie ich bei Anfragen zur Karriereberatung vorgehe. Entgegen meiner sonstigen Art, intuitiv – dabei von systemischen und tiefenpsychologischen Ansätzen geleitet – zu arbeiten, orientiere ich mich hier an einem strukturierten Konzept: an der von Prof. Kornelia Rappe-Giesecke entwickelten „Triadischen Karriereberatung“. Es handelt sich um ein wissenschaftlich fundiertes Beratungskonzept, das den „ganzen Menschen“ – statt nur seine berufliche Laufbahn und offensichtliche berufliche Kompetenzen – in den Blick nimmt. Die Komplexität wird so erweitert, dass der Klient am Ende erkennen kann: Was passt zu mir und zu meinem Lebensentwurf? Auf dieser Grundlage lassen sich nachhaltige Karriere-Entscheidungen treffen. Zugleich ermöglichen die ausgesuchten Methoden und der klar zu planende Ablauf, dass die Investitionen an Zeit und Geld für die Beratung überschaubar, angemessen bleiben.

Voraussetzung für den Einsatz der „Triadischen Karriereberatung“ ist, dass die Indikation stimmt: Sie richtet sich an Menschen, die aktiv Einfluss auf ihre weitere Karriere nehmen wollen oder müssen. Hilfreich ist das Verfahren vor allem dann, wenn karrierebestimmende Entscheidungen zu treffen sind: Möchte ich diese Arbeit noch für lange Zeit so weiter machen? Welche Weiterbildung ist als nächstes oder in Zukunft sinnvoll? Ich muss mich (aus welchen Gründen auch immer) für eine neue Stelle bewerben oder eine neue Perspektive entwickeln. Welche Stelle bzw. welche Tätigkeit passt am besten zu meiner Persönlichkeit und meinen Fähigkeiten? Hilfreich ist es, wenn der Kunde auf eine gewisse Berufserfahrung zurückblicken kann. Geht es um die Beratung von Menschen, die am Beginn ihrer Karriere stehen, benutze ich eine abgewandelte Form oder auch andere Konzepte.

Was Herrn J.`s Anfrage betrifft, so lud ich ihn zu einem Vorgespräch ein. So konnten wir wechselseitig prüfen, ob und in welcher Form wir bezüglich seiner Anfrage zusammenarbeiten können. Dabei entstand mein erstes Bild von Herrn J. als einem offensichtlich erfolgreichen Unternehmer:

Noch während seines Studiums zum Softwareingenieur hatte er nahe Hamburg eine Firma gegründet. Sie vertrieb ein sehr erfolgreiches Programm, das Handelsfirmen bei komplexen Transaktionen unterstützen konnte. Die Grundzüge dafür hatte Herr J. bereits während des Studiums gelegt; später hat er es mit den Mitarbeitern seiner Firma weiterentwickelt. Nach fünf Jahren verkaufte er die Firma außerordentlich gewinnbringend, nur um sich sofort mit neuen Ideen an die Gründung einer weiteren Softwareschmiede zu machen. Vor knapp zwei Jahren veräußerte er auch dieses Unternehmen, an ein amerikanisches Softwarehaus. Allerdings erklärte er sich diesmal bereit, als Geschäftsführer die Geschicke seiner Firma für eine gewisse Zeit weiterhin zu steuern. Schon nach kurzer Zeit erwies sich das allerdings als schwierig. Er hatte nicht damit gerechnet, wie schwer es ihm fallen würde, die Ideen Anderer in „seiner Firma“ umzusetzen – vor allem, wenn diese Ideen seinen eigenen, sehr klaren Vorstellungen zuwider liefen. Nachdem es immer häufiger Reibungen und Konfliktsituationen zwischen ihm und dem neuen Vorstand der Firma gegeben hatte, wurde Herrn J. als Geschäftsführer gekündigt. Herr J. verbarg während seiner Darstellung durchaus nicht, wie sehr ihn das gedemütigt hat. Zugleich machte er deutlich, dass es für ihn nun darum gehe, in die Zukunft zu blicken und zu entscheiden, wo es mit seiner Karriere hingeht.

Nach dem, was mir Herr J. im Vorgespräch erzählt hatte, sah ich die Indikation für eine Triadische Karriereberatung erfüllt. Ich war sicher, ihn mit einer solchen Beratungsform nachhaltig unterstützen zu können – gerade auch, weil Herr J. hinsichtlich seiner beruflichen Perspektive noch so gar nicht festgelegt schien. Also erläuterte ich ihm, wie wir in der Beratung vorgehen würden, und nach einigen Rückfragen wollte er sich auf diesen umfassenden Klärungsprozess einlassen. Dabei war ihm wichtig, dass ich ihn gegebenenfalls auch bei bestimmten Schritten der Umsetzung begleiten könnte.

Der erste Schritt dieses Beratungsprozesses besteht in der Erkundung jener Faktoren – Motive, Werthaltungen -, die die Muster bisheriger beruflicher Entscheidungen erklären. (Der Organisationspsychologe Ed Schein spricht hier von „Karriereankern“.) Dazu dient ein Fragebogen, den ich auch Herrn J. am Ende des Vorgesprächs aushändigte, sowie ein halbstrukturiertes Interview zu allen bisherigen beruflichen Entscheidungs- und Veränderungssituationen. Ich ermuntere meine Klienten jeweils, dieses Interview außerhalb der Beratungszeit mit einer vertrauten Person zu führen. So können wir uns in der Beratung selbst auf die Ergebnisse – die sich abzeichnenden Karriereanker – konzentrieren. Diese werden dann durch weitere Verfahren verifiziert und mit dem aktuellen gesamten Lebensentwurf verglichen. Es entstehen Visionen und genauere Vorstellungen davon, was sich in welche Richtung ändern sollte und kann. Anders als in herkömmlichen Ansätzen von Karriereberatung werden erst auf dieser Grundlage Fähigkeiten und Talente ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

Im Prozess der Beratung von Herrn J. erwies sich die Erkundung der Karriereanker als Schlüssel zu einer am Ende überraschenden Wendung seines Berufsweges. Ihm wurde bewusst, dass ihn verschiedene Werthaltungen lenken, die in gewisser Weise einander widersprechen und die er deshalb auf seinem bisherigen Lebensweg nicht in Einklang bringen konnte. In diesem Licht konnte er seine aktuelle berufliche Krise als „logische“ Folge dieser Widersprüchlichkeit sehen – statt als Widerspruch zu seinem unternehmerischen Talent und Erfolg.

„Leben ist das, was dir passiert…?“ Das Ergebnis von Herrn J.`s beruflichem Wandel zeigt, welche sinnvollen Pläne entstehen können, nachdem man sich selbst besser kennen gelernt hat.  Herr J. lebt heute auf einem Bauernhof, den er gekauft und ausgebaut hat – nicht als „Aussteiger-Projekt“, sondern als Teil eines sinnerfüllten Lebens, in dem seine Werte nicht mehr im Widerspruch zueinander stehen. Für eine nachhaltig zufriedenstellende Veränderung wie diese genügt es nicht, sich danach zu fragen, wo man in fünf Jahren stehen will, und mit welchen Stärken und Schwächen man ausgestattet ist. Vielmehr bedarf es dazu einer komplexen Reflexion, wie sie durch das Konzept der Triadischen Karriereberatung angeregt und eingeleitet wird. Und nicht selten erlebe ich, dass die Lösungen, die meine Klienten „endlich passend“ finden, auf den ersten Blick alles Andere als nahegelegen haben.

Dipl.-Psychologe Torsten Wulff